Von Pit Gottschalk
Vor einiger Zeit räumte ich einen Schrank auf, in dem ich fast alles verstaue, was keinen festen Platz in meiner Wohnung hat. Nutzlose Münzen, verstaubte Schneekugeln und alte Fotos. Ein Foto zeigt mich in fürstlicher Umgebung: bei einem Interview mit Prinz Albert von Monaco, dem Helden der Klatschpresse, direkt am Strand. Wie kam es dazu?
Eigentlich war ich in Monaco, um den großen Eric Cantona zu interviewen. So war es jedenfalls mit den Organisatoren einer damals neuen Sportart ausgemacht: Ich, inzwischen Chefreporter bei Sport-Bild, berichte vom Beach Soccer Turnier an der Côte d'Azur und darf bei dieser Gelegenheit den einstigen Starspieler von Manchester United interviewen, der an diesem Spaßturnier teilnahm.
Cantona war damals wie heute eine imposante Erscheinung Der Ibrahimovic seiner Zeit. Der Weltverein Manchester United hörte auf ihn. Sogar, als er einen pöbelnden Fan mit einem Kung-Fu-Tritt außer Gefecht setzen wollte. Die BVB-Fans kannten ihn aus dem Halbfinale der Champions League 1997.
Es war Cantonas Schuss, den Jürgen Kohler mit einer sensationellen Grätsche von der Torlinie kratzte. Wäre der Ball reingegangen: Borussia Dortmund hätte das Finale vor 20 Jahren in München vermutlich nicht erreicht und damit den Europapokal nicht gewonnen. Cantona ärgert sich noch heute über seinen Fehlschuss.
Dieser Cantona spielte also Beach Soccer in Monte Carlo. Beach Soccer sollte der neue Trendsport werden: Alternde Ballvirtuosen aus den Fußballnationen quälten sich barfuß durch den aufgeschütteten Sand am Hafen, um sich ein nettes Preisgeld zu verdienen. Aus Deutschland am Start: unter anderem Michael Rummenigge. Aus Frankreich: eben jener Eric Cantona.
Ihn wollte ich interviewen. Mein Chefredakteur zeigte wenig Verständnis für meinen Ausflug. Beach Soccer: für ihn irrelevant. Die Wahrheit: war es auch. Aber ich wollte die Gelegenheit nutzen, einmal Monaco kennenzulernen. Man hörte ja so viel davon. Formel 1, wilde Partys, die Fürstenfamilie. Also überzeugte ich meinen Chef mit der Aussicht auf das Cantona-Interview.
Grummelnd bewilligte Max Pietsch die Dienstreise. Er wollte mich ja bei Laune halten. Dummerweise hatte Eric Cantona vor Ort keine Lust auf Interviews. Ich vergesse niemals seinen Blick, als ich am Abend des Empfangs einfach seine Hand kräftig schüttelte und unverblümt meinen Gesprächswunsch vortrug.
„No, no, Monsieur!“, sollte zum geflügelten Wort werden, wann immer ich Cantona in den nächsten zwei Tagen begegnete. Er wollte nicht. Beim Soccer durch den Sand hüpfen - kein Problem. Aber 30 Minuten reden? Nicht mit ihm. Ich war ein bisschen verzweifelt und stand unter Druck. Es gab ja so viel zu besprechen.
Zum Beispiel die Umstände der Kohler-Grätsche. Der Weltmeister von 1990 war der Held von Manchester gewesen, im Tempel der Träume, wie das Stadion damals schon hieß, nachdem er seinerzeit verspätet aus Dortmund angereist war. „Wegen Erkältung“, hieß es offiziell von Vereinsseite. Aber das stimmte nicht, wie ich zeitnah aus der Mannschaft erfuhr.
Jürgen Kohler war bei seiner schwangeren Frau geblieben, es gab Komplikationen. Die Umstände sollten geheim bleiben. Er fiel aus allen Wolken, als ich am Tag nach dem Triumph von Manchester anrief und mit dem Ergebnis meiner Recherche konfrontierte. „Das darfst du nicht schreiben“, bat er. „Denk bitte an meine Frau.“
In einem solchen Moment ist man als Journalist hin- und hergerissen. Einerseits möchte man seinen Lesern den Hintergrund erzählen, warum Kohlers Leistung gegen Cantona noch großartiger als ohnehin schon war. Andererseits geht es hier um einen unbeteiligten Menschen im Krankenhaus; es gibt halt private Dinge, die im Leben wichtiger sind als die schnelle Story.
Ich holte mir das Einverständnis meines Chefredakteurs, dann war die Sache sofort geregelt: Wir schreiben natürlich kein Wort darüber. Was heute wie eine Selbstverständlichkeit klingt, war damals eine wichtige Lektion für mich, den jungen Reporter. Es gibt Grenzen in unserem Beruf. Kohler sagte hinterher: „Das vergesse ich dir nie.“
Zwei Tage später rief er mich an. Er wolle mir sagen, dass ich die Geschichte mit seiner Frau doch schreiben dürfe. Eine Sonntagszeitung habe ihn angerufen, weil sie ebenfalls davon erfahren habe; er habe diese Kollegen aber nicht zur Zurückhaltung bewegen können, keine Chance. Jetzt war ich beeindruckt: Kohler war komplett fair.
Und ich tat, was ich nicht anders tun konnte: Ich sagte ihm zu, dass trotzdem kein Wort darüber schreiben würde - die Gegenargumente, siehe oben, verboten es mir ja immer noch. Kohler dankte schweigend. Manchmal frage ich mich, warum die Offenheit zwischen Spielern und Schreibern heutzutage so selten geworden ist.
In Monaco wollte ich hören, was Eric Cantona zu Kohlers Grätsche und den Folgen zu sagen hatte. Ganz ehrlich: Über „Bonjour“ und einem inzwischen freundlichen Necken inklusive Schulterklopfen für meine berüchtigte Beharrlichkeit kam ich nicht hinaus. Nicht beim Frühstück, wo ich ihn traf. Nicht in der Lobby und nicht beim Abendessen mit dem gesamten Teilnehmerfeld.
Längst machte sich Eric Cantona einen Spaß daraus, mir ein „No“ zu sagen, noch bevor ich die Stimme erhob. Den Druck gab ich an den Veranstalter weiter: Man habe mich ja mit großen Versprechen nach Monaco gelockt, und jetzt - nix passiert. Zu solchen Vorwürfen kann ich verdammt böse gucken.
Der junge Franzose, der das Turnier organisiert hatte, bekannte sich schuldig: Nie habe er mit der Bockigkeit von Eric Cantona gerechnet, aber was solle er tun? Ich lächelte müde und sagte: Ersatz beschaffen! Ja, gerne, meinte er: Wie wäre es mit Prinz Albert? Prinz Albert, der Sohn von Fürst Rainier und Grace Kelly, war schon damals eine Berühmtheit.
Ein Partykönig mit maximaler Bedeutung für die Yellow Press. Ja, und er war Sportfan. Sogar Olympiateilnehmer im Bob. Aber was sollte Prinz Albert in Sport-Bild? Ich stellte mir kurz das Gesicht meines Chefredakteurs vor, wenn ich ihm sagte: Entschuldigung, Herr Pietsch, das mit Eric Cantona hat übrigens nicht geklappt - aber ich habe ein Interview mit Prinz Albert…
Nun schaute mich der junge Franzose fragend an und erwartete meine Antwort. „Klappt das denn auch?“, fragte ich vorsichtig zurück und hoffte, dass sich diese merkwürdige Situation in Gelächter auflöst. „Natürlich!“, antwortete er so schnell, als habe er nur auf ein Stichwort gewartet. „Er ist mein Cousin.“ Ich hielt das für einen Spruch und willigte spontan ein.
Auf dem Zimmer fand ich später eine Nachricht: Interview auf der Terrasse im Hotel
Le Méridien Beach Plaza, vermutlich gegen drei. Bitte pünktlich sein. Schnell sprach sich im Hotel herum, dass ich offenbar den ersten und wohl einzigen Interviewtermin seit langer Zeit mit Prinz Albert hatte. Wildfremde Kamerateams bedrängten mich plötzlich.
Ob sie denn dabei sein dürften, wenn ich mit Seiner Hoheit spreche? Mich überforderte das alles. Hoheit — sagt man das zu einem Fürsten? Ich hatte genug mit einer anderen Herausforderung zu kämpfen: Was frage ich Prinz Albert überhaupt? Und für wen? Irgendwann willigte ich ein, dass der Privatsender ProSieben Kamera und Mikrofon aufstellen durfte.
Punkt drei kam Prinz Albert auf die Terrasse. Ich, eigentlich eher Rüpel als Snob, war bestens vorbereitet. Feiner Anzug, perfekter Krawattenknoten, ein ausgefeilter Fragenkatalog. Ich dachte: Wenn schon Yellow, dann richtig. Mein Hauptthema: der Unfalltod von Prinzessin Diana ein paar Wochen vorher. Alles auf Englisch. Zu Sport: keine einzige bedeutende Frage.
Gut eine halbe Stunde saß ich wohl mit ihm zusammen. Die Gesprächsatmosphäre war angenehm. Die Sonne strahlte besonders schön. Der künftige Fürst merkte nicht eine Sekunde, wie ich unter meinem Sakko schwitzte. Als der Termin endete, gönnte ich mir ein Bier und entschied: Eric Cantona kann mich mal.
Am Abend sah ich Prinz Albert tanzend in einer Diskothek. An mein Gesicht konnte er sich nicht mehr erinnern, das war nach einem Blickwechsel offensichtlich. Mir egal. ProSieben war begeistert von dem TV-Interview, es lief in den Klatschsendungen rauf und runter. Ein Honorar habe ich niemals erhalten.
Brauchte ich auch nicht. Ich war schon froh, dass mich mein Chefredakteur nie mehr auf Eric Cantona und Beach Soccer angesprochen hat.